Accademia Vergani

Neuer Öl-Skandal? Nein, vielleicht dessen Ende!

Das Attribut Extra Vergine soll den wirklichen Produzenten gehören, also denen mit den Olivenhainen und den Ölmühlen.

 

Flickr_USDA(Bild: Flickr/USDA)

 
«Betrug und Fälschung mit Olivenöl in italienischen Supermärkten aufgedeckt!» «Turiner Staatsanwalt ermittelt gegen sieben bekannte Marken.» «Namen wie Carapelli, Bertolli, Primadonna, Coricelli, Sasso im Visier der Ermittler.» …

Keine Angst, liebe Leser, es gibt keinen neuen Skandal. Die Öle, um die es geht, sind dieselben wie eh und je. Aber wenn wir Glück haben, dann ist das, was gerade geschieht, der Anfang vom Ende eines fast 50-jährigen Skandals.

Die Staatsanwaltschaft wirft den grossen Abfüllern genau dasselbe vor wie «Merum» vor zehn Jahren, dass nämlich die Extra Vergine von Firmen wie Carapelli, Sasso, Bertolli und Konsorten gefaked sind. Während Carapelli mir wegen dieser Behauptung damals mittels Straf- und Zivilklage den Mund stopfen wollte, sitzen die Grossabfüller nun selbst auf der Anklagebank.

Schon damals wurde ich von den NAS (Antifälschungspolizei) in Florenz angehört. Als die Beamten meine Unterlagen sahen – unter anderem das vernichtende, sensorische Urteil eines staatlichen Panels – waren sie überrascht und sprachen spontan von Grossrazzia. Ich überliess ihnen das brisante Dokument und war froh, endlich etwas erreichen zu können.

Doch geschehen ist nichts. Die Ermittler hatten offenbar doch keine Lust, sich mit der mächtigen, italienischen Öl-Lobby anzulegen. Es schien der florentinischen Staatsanwaltschaft opportuner, sich hinter die Carapelli-Klage zu stellen und ihre Energien in den mehrere Jahre dauernden Strafprozess gegen einen kleinen, aber etwas zu aufsässigen Journalisten aus Lamporecchio zu investieren.

Doch weshalb rührt sich die Staatsanwaltschaft ausgerechnet jetzt gegen die Ölkonzerne? Was ist heute anders als vor zehn Jahren? Eines steht fest, die Supermarkt-Extra-Vergine sind weder besser noch schlechter geworden, sie waren vor zehn Jahren falsch gekennzeichnet und sie sind es heute noch.

Neu sind zwei Elemente: Zum einen befinden sich die meisten grossen Ölmarken nicht mehr in italienischer Hand, was zumindest auf politischer Ebene eine Schwächung der Öl-Lobby bedeutet. Zum Zweiten stellt die gesetzliche Einführung der sogenannten Alkylester (eine Substanz, die sich in vergammelnden Oliven bildet) als Nachweis für schlechte Qualität für die Lebensmittelkontrolleure eine Chance dar. Diese Alkylester verbleiben zum Pech der Panscher auch dann im Öl, wenn es widerrechtlich rektifiziert wird, um als Extra Vergine in Umlauf gebracht zu werden. Ein Alkylesterwert, der höher ist als das gesetzliche Limit von 35 Milligramm pro Kilo, ist der analytische, objektive Nachweis für schlechte Qualität. Es ist verboten, ein solches Öl auf dem Etikett als Extra Vergine auszuzeichnen.

Die angeschossenen Firmen wehren sich beleidigt gegen die erhobenen Anschuldigungen. In gewisser Weise kann ich das verstehen, betrachten sie die Strafermittlungen doch als Verletzung eines Gewohnheitsrechtes. Seit 1966, als die Mutter aller Olivenölverordnungen in Kraft trat, bringen sie ihre aus verdorbenen Oliven gewonnenen, in Tankschiffen und Tanklastwagen angelieferten Öle ungestört als Extra Vergine auf den Markt.

Mir geht es nicht um Strafe und nicht um Vergeltung. Mir liegt einzig und allein daran, dass Olivenöl korrekt bezeichnet wird. Korrekt hiesse in diesem Fall, dass die Supermarkt-Lieferanten, die alle von derselben Clique mehr oder weniger undurchsichtiger Grosshändler bedient werden, auf das Attribut Extra Vergine verzichten. Meine hoffnungsvolle Forderung: kein stinkendes, ranziges Extra Vergine mehr! Kein Extra Vergine mehr aus Tankschiffen! Kein Extra Vergine mehr beim Discounter!

Ganz bescheiden Olio Vergine di Oliva (Natives Olivenöl) sollten diese kommerziellen Öle genannt werden – falls sie diese Bezeichnung überhaupt verdienen. Denn was mir an Supermarkt-Ölen so unter die Nase kommt, ist in der Regel Lampenöl und als solches gar nicht verkehrsfähig. Das Attribut Extra soll den wirklichen Produzenten gehören, also denen mit den Olivenhainen und den Ölmühlen. Und auch nur den besten von ihnen, jenen, die sich in den Kopf gesetzt haben, ohne kommerzielle Kompromisse duftende, reintönige, vollwertige Olivenöle hervorzubringen.

2016 wird das Gesetz, das uns das Extra Vergine eingebrockt hat, 50 Jahre alt. Sollte nun Raffaele Guariniello, ein verdienstvoller, 75-jähriger Staatsanwalt, der während seiner Karriere mit grossem Mut gefährliche Schlachten gewonnen und verloren hat, diesem Gesetz kurz vor dessen unrühmlichem Jubiläum noch zu Respekt verhelfen? Ich wage es kaum zu hoffen.

Text: Andreas März

Dieses Editorial ist erschienen in der Zeitschrift «Merum» (Ausgabe 6/2015), bestellbar hier.

 

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