Accademia Vergani

Morgenstern da Mario - Apulien im Kreis 4

Der eigentliche Planetenweg befindet sich nicht auf dem Uetliberg, sondern in der Nähe der Langstrasse. Denn nur da findet man den Morgenstern, den Morgenstern da Mario, um genau zu sein. Letzterer ist beseelt, wird betrieben von Italienern mit geübten Händen fürs Herzhafte. An der Zwinglistrasse 27 schlägt sich Familiengeschichte im gekonnten Geniessen nieder. Kein Wunder, haben bei der Stimmung und bei den Gerichten weltliche Wehwehs wie Terminund Spardruck kein Gewicht.

 

Die Zwinglistrasse im berüchtigten Kreis 4 ist nicht halb so zürcherisch wie ihr prominenter Namensgeber. Aber zu Beginn, da ist sie immerhin noch irgendwie irdisch. Auf eine Thai-Essstube folgt der Afro-Shop. Hat man den passiert, wird’s schon kosmisch: Beim Restaurant Gallacte mit seinem Weltall-Emblem verliert der Passant gut und gerne die Bodenhaftung – und ein paar schwebende Schritte weiter leuchtet der Morgenstern da Mario. Der helle Gesteinsplanet ist aus der Nähe betrachtet zwar nicht ganz so schön, beige-blass sind die alten Gemäuer, aber das Restaurant mit dem himmlischen Namen hat eine Anziehungskraft. Dieser Gravitation sind schon viele zum Opfer gefallen. Gäste, die doch eigentlich nur kurz Koffein tanken wollten, sollen erst Stunden später und mit rundem Bauch wieder auf die Strasse getreten sein. Und diese Gäste, die sind von ganz unterschiedlicher Natur: Illustre Gestalten, Fashionistas, Szenis, Banker und Chirurgen geben dem einfachen Büezer und dem komischen Kauz die Klinke in die Hand. Da muss also was dran und was drin sein. Und deshalb gehen wir rein.

Die Türe schliesst sich, der Mund steht weit offen: Dieser Stern ist ausgehöhlt – der Innenraum ausgefüllt mit einem subversiven Italien. Wir befinden uns in Apulien. Das jedenfalls verraten die Landschaftsbilder an den Wänden, verspricht ein erster Blick in die Karte. Womit wir auch schon beim Capo wären: Mario Caracutas Geschichte wurzelt im Stiefelabsatz Italiens. Aber hier in Zürich ist er zum herzhaften Gastronom aufgeblüht. Den Morgenstern führt er seit 2001. Schon vorher war in den Räumlichkeiten ein Restaurant, schon vorher trug es den Venus-verbandelten Namen. Aber Mario hat es zu dem gemacht, was es jetzt ist und sich rumspricht: einem italienischen «mecca» der
Lebensfreude und der Sinne. Denn an der Zwinglistrasse 27 wird nicht nur laut palavert, es rauscht einem auch zünftig Musik durch die Ohrmuschel, während auf dem Teller rasch Herzhaftes liegt, das ebenso herzhaft riecht. Hausgemachte Ravioli burro e salvia zum Beispiel. Oder ein saftiges Rindsfilet.

Manche der Rezepte sollen Marios Nonna entlockt worden sein. Dass zu so viel Tradition auch ein auserlesenes
Glas Wein gehört, ist sonnengereiftklar und natürlich, ist schlichte Harmonie. In diesem Lokal herrscht die Überlieferung, also die «famiglia». Und bei dieser Familie würde man spätestens nach dem ersten Bissen Tiramisu gerne dazugehören. Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass viele der Gäste immer und immer wieder kommen. Stammhafte Geniesser werden auch mit einer Extraportion an Charme verwöhnt, das bemerkt der neidische Frischling rasch. Und wenn man dann irgendwann den Lieblingsplatz im Lokal auf sicher hat, fühlt sich ein Besuch im Restaurant Morgenstern da Mario an wie das Hinhocken am heimischen Küchentisch. In der Konsequenz bleibt man tatsächlich länger als gedacht, viel länger als geplant. Die letzten «Ciao – a presto» erklingen jedenfalls spät nachts.

Text: Andreas Keller | Bild: Iris Stutz | Quelle: Vergani Magazin 3

 

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