Gross im Kleinen

Mura Mura

In der Piemonteser Weinszene dreht sich vieles um Traditionen und um die Erhaltung des Status quo. Die beiden Gelatieri Guido Martinetti und Federico Grom ticken allerdings anders – und finden damit viel Beachtung.

Gross im Kleinen

Mura Mura

In der Piemonteser Weinszene dreht sich vieles um Traditionen und um die Erhaltung des Status quo. Die beiden Gelatieri Guido Martinetti und Federico Grom ticken allerdings anders – und finden damit viel Beachtung.

«Es ist eine grosse Passion», sagt Guido Martinetti mit einem Strahlen im Gesicht. Wenn er im Grünen ist, dreht er nicht im roten Bereich – wobei man sich den gelernten Winzer kaum unentspannt vorstellen kann. Naja. Er und sein Geschäftsfreund Federico Grom sind jedenfalls keine Unbekannten in Italien. Ihre Weltreise zum guten Geschmack starteten die beiden Freunde, die sich im Militärdienst kennengelernt haben, im Jahr 2003. Ihr Ziel war es, ein Gelato herzustellen, wie es einmal gewesen war. Es sollte das beste Speiseeis der Welt werden. Bevor sie das Multiunternehmen Grom (mit damals rund 600 Mitarbeitenden) im Jahr 2015 an Unilever verkauft haben, hielten sie Gelaterias in New York, Paris, Hongkong, Los Angeles, Dubai, London und Osaka. Heute produzieren sie Wein. Aus Leidenschaft und Liebe. Und Grom wächst weiter.

«Meine Eltern haben sich getrennt», sagt Guido Martinetti: «Mein Vater war nie zu Hause», erinnert er sich und genau das möchte er selbst nicht. Viel lieber möchte da sein, wo er ist: «Am Ort unserer Zukunft», sagt er und meint damit seine Familie. Und: Mura Mura. «Meine Ambition ist es, grosse Menschen bei uns zu Hause willkommen heissen zu dürfen», sagt er beiläufig. Es klingt wie ein geschliffener Marketingsatz, ist es aber nicht. Es ist sein Ernst. Gelogen hat sein Vater. «Lügen sind für mich ein Schmerz, den ich nicht aushalten kann», sagte er 2019 dem «Manager Magazin» in einem Interview.

Grignolino, geschmacklich zwischen Pinot Noir und Syrah, ist für mich eine moderne Rebsorte mit grossem Potenzial.

Guido Martinetti

«Eigentlich haben Federico und ich uns im Jahr 2006 nach Fruchtbäumen umgeschaut», erzählt er. Zwischen Asti und Alba sind sie fündig geworden. Mura Mura ward geboren. Mit 8 Hektar hat es begonnen, heute sind es 20 Hektar. Obstbäume. Bio. Die beste Frucht, der volle Geschmack. «Der Name ‹Mura Mura› ist uns auf der Suche nach den besten Vanilleschoten auf Madagaskar begegnet», erzählt er. «Mura Mura» widerspiegelt auf Madagaskar eine Lebensweisheit. Langsam. Langsam. Weise, ohne Eile – so könnte man diesen Lifestyle übersetzen. «Die kleinen Dinge, die wir jeden Tag vor Augen haben, zu erkennen und sie zu schätzen», so sieht es Guido Martinetti. «Müra» – das bedeutet im piemontesischen Dialekt aber auch «reif». «Genau das brauchen wir. Reife Früchte», sagt der Agronom und klatscht in die Hände. Gut, dass sie ihren Biohof nicht verkauft haben.

Klar, dass die Zeit bald reif wurde, um Reben mit ins Spiel zu bringen. Heute sind es 10 Hektar. Ein Gamechanger war vor drei Jahren der Kauf der Kellerei Valfieri in Costiglione d’Asti. Warum? Weil die Kellerei im Besitz einer einzigartigen Lizenz war und ist. Es handelt sich dabei um eine von insgesamt 16 Lizenzen, die es diesem historischen Kreis von Produzenten erlauben, als einzige Weinbauern Trauben, die aus Barbaresco und Barolo stammen, ausserhalb der jeweiligen DOCG zu keltern. «Eine gute Investition», sagt Guido Martinetti, denn Valfieri und Mura Mura stünden zueinander wie ein Ferrari und ein VW Golf. Beide hätten Vorzüge. Zuverlässigkeit. Bedingungslose Qualität.

Auf Mura Mura herrscht Bedingungslosigkeit in Sachen Q ualität. Von A wie «Anbau» bis A wie «Ausbau». «Am meisten glauben wir an die Rebsorte Grignolino», sagt Guido Martinetti. «Sie steht zum Nebbiolo wie eine Schwester. Ähnlich, aber fruchtiger, würziger, aromatischer», sagt er. Kenner vergleichen sie in Blinddegustationen mit einem Grand Cru aus dem Burgund. Im Keller herrscht auf Mura Mura eine japanische Grundhaltung. Präzision. Eleganz. Potenzial. Struktur. Reife. Ruhe. Der Weg dorthin würde ein Buch füllen.

Guido Martinetti verlangt von seinen Weinen nichts Geringeres als die Verbindung von Seele und Körper. Eine tänzelnde Struktur. Die Süsse der Frucht ist ihm wichtig. Keine dominanten, aber präsente Tannine. Offen, nicht bitter  – so müssen seine Weine sein. Die Seele eines Weines entstamme dem Terroir und Präzision könne nur entstehen, wenn man im Keller keine önologischen Fehler begehe, findet er. Eine Grundhaltung, die er beim 2016 verstorbenen Paul Pontallier auf Châteaux Margaux gelernt hat. «Der Schlüssel zu einem legendären Wein ist die Traube», sagt Guido Martinetti. Eigentlich wie bei einem guten Gelato: Die Zutaten machen den Unterschied.